GERLINDE ZANTIS

Texte

Ursula Geggerle-Lingg


Zeitpunkt: Folge 13 (Februar, 2020)

Unter den über die Jahre erworbenen Zeichnungen der Artothek sticht die Arbeit von Gerlinde Zantis hervor: es ist die einzige nächtliche Landschaft, die wir haben. Ein grob schotteriger Weg führt nach oben den Waldrand entlang hoch, rechts eine Abzweigung direkt unter die Bäume. Das helle Mondlicht scheint auf Teile des Wegs, bricht durchs Laub und erhellt einige Stellen im dunklen steinigen Vordergrund. Die Bäume stehen fast schwarz, einzelne Blättchen und Zweige vom Licht erhellt. Das kleine Stück Himmel hat eine andere Graufarbigkeit, was den Eindruck einer irgendwie irrealen Szenerie verstärkt. Die feinen Strukturen der Landschaft werden dramatisiert: wie auf einer Bühne sind Helligkeiten und Dunkelheiten übersteigert und erzeugen eine dichte Atmosphäre. Das Helle gleißt, das Dunkle verliert sich in tiefster Schwärze. Gerlinde Zantis' Handwerkszeug sind nur Papier und Farbstifte. Die akribische Genauigkeit im Detail dient einer Großzügigkeit und Weite der Komposition bei gleichzeitiger Reduktion auf eine einfache überschaubare Szene.

Die Künstlerin hat sich viele Jahre intensiv mit der Nacht beschäftigt. Die Tage um den Vollmond ist sie nächtelang mit Skizzenbuch und Bleistift unterwegs gewesen, am liebsten in entlegenen Landschaften von Südostfrankreich, wo keinerlei menschlich erzeugtes Licht die natürliche Situation beeinflusst. Fast magisch anziehend empfand sie diese stillen Nächte. Seltene Kontakte mit Wildschweinen oder streunenden Hunden waren die einzigen (aber aufregenden) Begegnungen in der dunklen Einsamkeit. Die nächtlichen Skizzen hat sie mit den am Tag darauf gemachten Fotos des Standorts zu Szenen verwoben, die die Grundlage für ihre Zeichnungen bilden. Die Faszination und Stille der Mondlicht-erfüllten Nacht aber teilt sich dem Betrachter direkt mit, wenn er in diese Landschaften eintaucht.

Gerlinde Zantis, die 2013 in Wertingen ausgestellt hat, lebt und arbeitet in Aachen und Friedrichshafen. Sie hat an der FH Aachen mit Schwerpunkt Zeichnung studiert, erhielt Förderpreise und Stipendien und ist Mitglied der Münchener Sezession. Durch ihre sehr rege Ausstellungstätigkeit – seit 2012 im Durchschnitt fünf Ausstellungen pro Jahr – ist sie viel unterwegs, zusätzlich auch jedes Jahr mehrere Wochen in Südfrankreich. Dort entstehen Skizzen und Fotomaterial, die sie zurück im Atelier auf kleinere und große Formate überträgt und ausarbeitet.

Trotz der starken atmosphärischen Ausstrahlung ist in ihren Zeichnungen eine ganz besondere Sachlichkeit zu spüren, der scharfe Blick der Beobachtung und Inszenierung. Wir sehen in eine feinst notierte, vollkommen stille Erlebniswelt.

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